Sauerlach, 7. Juni 2023. „Die explodierenden Energiepreise im vergangenen Jahr waren ein Schock“, sagt Dieter Bornhorst und spricht damit vermutlich vielen aus der Seele. Anstatt aber tatenlos die Entwicklung abzuwarten, beschloss er zu handeln. „Ich wollte einen Weg finden, vom Gas wegzukommen und das so schnell wie möglich.“ Nachdem der Elektroingenieur verschiedene Optionen geprüft hatte, beschloss er, im ersten Schritt mit Infrarotheizgeräten und einer Brauchwasser-Wärmepumpe seinen Erdgasverbrauch zu drosseln. Das war eine Lösung, die er mit geringem Aufwand und niedrigen Kosten schnell umsetzen konnte. Seit dem Herbst 2022 erzeugt die Gasbrennwerttherme nur noch die Grundlast, die vorhandenen Heizkörper laufen mit einer Vorlauftemperatur von circa 35 Grad Celsius. Dazu liefern Infrarotheizungen an den Decken angenehme Strahlungswärme nach Bedarf, sobald Personen im Raum sind.
Das Einfamilienhaus in Stockach am Bodensee hat Bornhorst 1994 mit seiner fünfköpfigen Familie bezogen. Vier Jahre später kaufte er das Reihenmittelhaus und baute den Keller komplett aus. Seither hat es 157 Quadratmeter beheizte Fläche auf drei Etagen. Um den Energiebedarf zu reduzieren, erneuerte er 2014 die Fenster auf der Südseite. Die Sonneneinstrahlung und die Lage in der Mitte des Reihenhauses sorgen für eine angenehme Grundwärme im Haus.
Verbrauchsdaten seit fast 30 Jahren dokumentiert
1994, als die Familie gerade eingezogen war, legte der Elektroingenieur eine Excel-Tabelle an. „Das ist mein Hauptarbeitstool, das nutze ich auch gern privat“, erzählt Bornhorst mit einem Schmunzeln. In den endlosen Spalten erfasst er seit bald 30 Jahren jährlich die Verbrauchsdaten für Erdgas, Strom, Brauch- und Abwasser. Wieviel kostete eine Kilowattstunde Strom vor 20 Jahren? Wie hoch war der Gaspreis 2008, wo lag der Preis für einen Kubikmeter Wasser 2015? Bornhorst hat die Antworten parat. Hin und wieder analysiert er die Daten, die auch zeigen, wie sich die Energiepreise in den vergangenen Jahrzehnten steil nach oben entwickelt haben. Die größten Einschnitte beim Warmwasser und Stromverbrauch gab es immer dann, wenn einer der drei mittlerweile erwachsenen Söhne das Haus verließ. Auch der Einbau einer neuen Gasbrennwerttherme im Jahr 2014 schlug sich in niedrigeren Gasverbräuchen und –kosten nieder.
Zurzeit beschäftigt er sich wieder häufiger mit der Tabelle. Denn durch das neue Gas-Infrarotheizung-Hybridsystem werden sich die Zahlen künftig merklich ändern. Das kann er jetzt schon absehen.
Solarelektrisches Gebäudekonzept für Strom, Wärme und Mobilität
Auf das innovative Gebäudekonzept machte ihn sein Sohn Dirk aufmerksam. Der Wirtschaftsingenieur Dirk Bornhorst ist als Energieplaner bei der elio GmbH tätig. Das Unternehmen aus Sauerlach bei München bietet mit dem solarelektrischen Gebäudekonzept eine schnell umsetzbare Alternative zu Gas- und Ölheizungen, die umweltschädliche Treibhausgase emittieren und deren Kosten für die Brennstoffe immer weiter in die Höhe gehen werden, schon allein aufgrund der politisch beschlossenen CO2-Bepreisung für fossile Brennstoffe.
Die Schlüsselkomponenten Infrarotheizung und Brauchwasser-Wärmepumpe sind aber auch eine Alternative zur Wärmepumpe mit Fußbodenheizung, die im Neubau mit hohen Investitionskosten einhergeht. Dazu kommt, dass es bei Wärmepumpen aktuell Lieferengpässe gibt und Fachbetriebe, die sie einbauen könnten, häufig ausgelastet sind. In bestehenden Gebäuden andererseits ist der nachträgliche Einbau einer Wärmepumpe mit einem wassergeführten Wärmeverteilsystem mit einem hohen baulichen Aufwand verbunden. „Im Bestand ermöglicht die Kombination von Infrarotheizung und Brauchwasser-Wärmepumpe den Einbau einer kleinen Wärmepumpe für die Grundlast, ohne dass große Investitionen oder Änderungen am Gebäude nötig sind“, erklärt Dirk Bornhorst, der solche Energiekonzepte plant.
Zudem entspricht das solarelektrische Konzept von elio der politischen Zielsetzung der Elektrifizierung der Energieversorgung in den Sektoren Wärme, Strom und Mobilität, da sie mit Photovoltaikanlagen für die CO2-freie Stromerzeugung vor Ort kombiniert werden sollen.
In einem solarelektrischen Haus sorgen präsenzorientierte Infrarotheizungen schnell und unkompliziert für Raumwärme, wenn sie benötigt wird. Eine kleine Brauchwasser-Wärmepumpe erzeugt die Heizenergie für das Dusch- und Trinkwasser. Aufgrund der niedrigen Investitionskosten für diese Anlagen bleibt dem Hausbesitzer noch genügend Geld für die Investition in eine Photovoltaikanlage auf dem Dach und / oder an der Fassade. Senkrecht installierte Solarmodule an den Fassaden oder Balkonen eignen sich besonders gut für solarelektrische Gebäude, da sie im Winter, wenn es den höchsten Heizbedarf gibt, mehr Solarstrom als Dachanlagen erzeugen.
Im ersten Schritt ein Hybridsystem
Diese Argumente haben Dieter Bornhorst überzeugt. Denn den Umstieg auf eine große Luft-Wasser-Wärmepumpe mit den dafür erforderlichen Anpassungen am Heizungssystem oder der Gebäudehülle wollte er nicht unbedingt. Außerdem brauchte er auch noch nicht gleich auf seine erst acht Jahre alte Gasbrennwerttherme zu verzichten. Und so entwickelte sein Sohn ein Hybridkonzept für ihn, bei dem er stufenweise vom Gas wegkommt.
Die Gas-Brennwerttherme mit zehn Kilowatt Leistung aus dem Baujahr 2014 stellten die beiden auf die Grundlastdeckung um. Lagen die Vor- und Rücklauftemperaturen vorher bei 70 bzw. 55°C, so betragen sie seit dem Herbst je nach Außentemperatur nur noch zwischen 30 und 40°C. Das wassergeführte System erwärmt die Räume tagsüber auf eine Grundtemperatur von 18 bis 19°C.
In Ergänzung dazu wurden in dem großen Wohnzimmer an der Decke ein Infrarotpaneel über der Sitzecke und eines über dem Esstisch montiert. Dazu kam jeweils ein Paneel in der Küche, im Bad, im Büro, im Gästezimmer und im Büro im Keller. Die Spitzenlast wird in den Räumen durch Infrarotheizungen gedeckt. Die Infrarotheizgeräte werden über Einzelraumsteuerungen programmiert und heizen die Räume auf bis zu 23 Grad Celsius auf. Die Infrarotheizungen werden über Präsenzmelder aktiviert und liefern Wärme, sobald jemand den Raum betritt. Dazu hat Bornhorst einen Oekoboiler, also eine Brauchwasser-Wärmepumpe, mit 300 Liter Fassungsvermögen installiert.
Erfreuliche Verbrauchsdaten nach erster Heizperiode
Seit April 2022 ist die Brauchwasserwärmepumpe in Betrieb, seit Oktober läuft das Gasbrennwertgerät in Kombination mit dem Infrarotheizsystem. Die Verbrauchszahlen aus der ersten Heizperiode bestätigen Familie Bornhorst in ihrer Entscheidung.
Seit 2018 hat Dieter Bornhorst noch 16.000 Kilowattstunden Erdgas pro Jahr verbraucht. Vom 1. Mai 2022 bis zum 30. April 2023 waren es durch das neue Hybridsystem nur noch 6.800 Kilowattstunden Gas. In dem gleichen Zeitraum benötigte er für die Infrarotheizung 1.900 Kilowattstunden Strom sowie 600 Kilowattstunden für die Warmwasserbereitung. Das heißt, mit 2.500 Kilowattstunden Strom hat er den Gasverbrauch um 9.200 Kilowattstunden reduziert. Das entspricht 57 Prozent Erdgaseinsparung. „Damit bin ich sehr zufrieden“, sagt Bornhorst und ergänzt: „Außerdem fühlen wir dort, wo wir sitzen, die Wärme und das ist sehr angenehm.“
Er bereitet zusammen mit seinem Sohn Dirk bereits den zweiten Schritt zum vollelektrischen Gebäude vor. In den nächsten Monaten will er an der Südfassade Module mit 2,8 Kilowatt Leistung und auf dem Dach rund 15 Kilowatt Photovoltaik-Leistung installieren, um Solarstrom nutzen zu können. „Der zehn Meter lange Gartenzaun in Richtung Süden muss auch demnächst erneuert werden, da wollen wir einen Solarzaun errichten“, ergänzt Bornhorst. Dann soll auch gleich eine Wallbox installiert werden, denn er will sich beizeiten ein Elektroauto zulegen.
Der dritte und letzte Schritt zum solarelektrischen Hybridgebäude soll in diesem Sommer umgesetzt werden. Die Gasheizung wird dann durch eine kleine innen aufgestellte Wärmepumpe ersetzt. Somit werden die zwei Technologien Infrarotheizung für die Spitzenlast und vorhandenes wassergeführtes System in Kombination mit der Wärmepumpe zur Grundlastdeckung optimal im Bestand kombiniert. Die Energiewende, wie sie auch im Bestand dringend nötig ist, hat Familie Bornhorst dann mit überschaubarem Aufwand geschafft.
Technische Daten auf einen Blick:
Solarelektrisches-Hybrid-Reihenmittelhaus
Baujahr: 1988
Beheizte Fläche: 157 Quadratmeter
Heizlast: 9,6 Kilowatt
Seit 1994 Verbrauchsdaten zu Gas, Strom, Wasser und Abwasser erfasst
Heizung / Klima:
Präsenzorientierte Niedertemperatur-Infrarotheizung mit integrierter Oberflächentemperaturregelung zur Spitzenlastabdeckung
Gas-Brennwerttherme (Baujahr 2014)
Warmwasser:
Warmwasser-Wärmepumpe Oekoboiler mit doppelwandigem Edelstahltank mit 300 Liter Fassungsvermögen
elio-Konzept: